Über sicheres Radfahren ist viel geschrieben worden. Über Sicherheit beim Elektro-Radfahren nicht soviel - wenn, dann liest man meist wie wichtig ein Fahrrad-Helm wäre, wegen der oft höheren Geschwindigkeit. Leider wird die Sicht des Alltags-Radfahrens dabei kaum berücksichtigt. Das folgende ist ein Versuch, grundlegende Sicherheits-Überlegungen zum Alltagsradfahren, durch spezielle Überlegungen zum Elektro-Radfahren zu ergänzen. 1. Gesehen werden von anderen Verkehrsteilnehmern Ein grosser Teil der Fahrradunfälle mit Unfallgegner sind ein Sichtproblem. Es lohnt sich daher, sich sichtbar zu machen. Sichtbarkeit hat zu tun mit - gross und auffällig zu sein
- die Fahrlinie gut sichtbar zu wählen, dh sich nicht hinter sicht-abschottenden Hindernissen zu verbergen
- die Fahrgeschwindigkeit so zu wählen, dass man rechtzeitig gesehen werden kann
Ein Topcase oder eine Kiste am Gepäckträger ist zb auffällig. Es/sie verbreitert und verlängert das Fahrrad sichtbar, und erinnert an ein Motorrad. Viele Autofahrer haben vor Motorradfahrern Respekt. Sie wissen instinktiv, dass diese schnell beschleunigen, bremsen, und sogar umfallen können, und halten daher eher einen Respektabstand. Auch ein Frontgepäckträger, ein Kindersitz, ein langes Fahrrad (longtail), eine Fahne etc etc sind auffällig und erhöhen daher die Sicherheit. Radwege hinter geparkten Autos zu benutzen bedeutet Sichtabschattung. An einer Kreuzung gleichzeitig neben einem LKW zu starten bedeutet evt, weder vom LKW noch von anderen gesehen zu werden. Also entweder klar vor dem LKW (und schnell) wegfahren, oder klar nach ihm. Aber eben nicht gleichzeitig, und niemals neben ihm. Ein Elektro-Fahrrad fährt manchmal schneller als ein normales Fahrrad, und es kann vor allem meist schneller beschleunigen. Beides wird von Autofahrern oft unterschätzt. Daher gilt für Elektro-Radfahrer besonders, was für alle Radfahrer gilt: nach aussen offensiv (zb nicht zu weit rechts), nach innen defensiv (im Zweifelsfall nachgeben) fahren. Immer bremsbereit, in unklaren Situationen auf den Vorrang lieber verzichten. Sich im Dunkeln sichtbar zu machen (viel Licht, Reflektoren, Warnwesten etc) kann nicht schaden - ein Allheilmittel ist es nicht. Wer einen Radfahrer ohne Warnweste übersieht, wird ihn höchstwahrscheinlich auch mit Warnweste übersehen (zu hohe Geschwindigkeit, Alkoholeinfluss, etc). Es gibt überzeugende Studien, dass die Beleuchtung am Fahrrad auf die Unfallhäufigkeit keinen Einfluss hat.. auch wenn dieses Thema in vielen Medienberichten verzerrt wird. Daher: Beleuchten Sie sich so hell wie Sie sich wohlfühlen, aber seien Sie sich bewusst, dass die Schutzwirkung möglicherweise viel geringer ist als dies am ersten Blick zu vermuten wäre. (Eine andere Sache ist es, selbst genug zu sehen - mehr dazu weiter unten.) 2. Gehört werden von anderen Verkehrsteilnehmern Autofahrer sitzen zunehmend in immer schwereren Fahrzeugen mit immer perfekterer Schall-Isolierung. In vielen Unfallsituationen nehmen sie einen Radfahrer erst wahr wenn die Kollision bereits stattgefunden hat. LKWs sind besonders gefährlich: Ihr Motor ist laut, ihre Schallisolierung meist gut, und ein Unfall oft schwer oder gar tödlich. Manchmal nehmen LKW-Fahrer eine Kollision mit einem Radfahrer überhaupt nicht wahr, und müssen erst von Passanten darauf hingewiesen werden. (Elektro)-Fahrräder sind meist sehr leise und passen daher überhaupt nicht zur modernen schall-isolierten Art des PKW- und LKW-Baus. Abhilfe: In jeder relevanten Situation, in der nicht völlig klar ist, dass man gehört wird, laut schreien oder hupen. Pressluft-Hupen haben einen LKW-ähnlichen Ton, müssen aber oft nachgefüllt werden. Der Akku eines Elektro-Fahrrades eignet sich gut für eine laute Elektro-Hupe mit auto-ähnlicher Lautstärke, die nicht mit Pressluft oä nachgefüllt werden muss (haben wir im Programm). Beachten Sie bitte: in einigen Ländern (zb DE) ist der Einsatz dieser Hupen am Fahrrad lt STVO auf öffentlichen Strassen evt nicht zulässig. 3. Als Radfahrer andere Verkehrsteilnehmer sehen Radfahren ist ua deshalb so sicher, weil die Rundumsicht erheblich besser ist als im Auto: keine A-Säule, keine sonstigen Abschattungen. Ein Radfahrer nimmt vieles aus dem Augenwinkel wahr, ohne auch nur hinsehen zu müssen. Typische Sichthindernisse können zb sein: - Kapuzen von Jacken (tunlichst vermeiden!)
- Probleme, den Kopf zu bewegen (hier hilft evt ein stabiler, grosser, Mofa-Rückspiegel - haben wir im Programm)
- fahren hinter Hindernissen (zb Radwege hinter geparkten Autos, Vegetation oder anderen Sichthindernissen)
- zu schwaches eigenes Vorder-Licht, zu starkes Licht anderer Verkehrsteilnehmer (Autos)
In normal beleuchteten Städten ist das Umgebungslicht fast überall stärker als ein Standard Fahrrad-Vorderlicht (10 Lumen). Es ist also zumindest für das was man selbst sieht, entbehrlich. Sobald man allerdings aus diesem "normalen" Lichtumfeld hinausfährt, ist ein Standard-Fahrradlicht viel zu schwach, vor allem bei höheren Geschwindigkeiten. Auch die oft angebotenen 25-100 Lumen Lampen bringen hier wenig Abhilfe. Wirklich interessant wird es ab ca 1000 Lumen (wir haben solche Lampen zu erschwinglichen Preisen im Programm), und kommen somit in die Nähe von Autoscheinwerfern (typisch 4000 Lumen). Da solche Lampen blenden können, sollten sie gezielt eingesetzt werden. Sie haben, um Blendung zu vermeiden, auch einen "lite" modus mit ca 300 Lumen. (Zum Unterschied Lux vs Lumen: In Lumen wird die Gesamtlichtmenge angegeben, die eine Lampe abgibt - nur diese ist zwischen Lampen wirklich vergleichbar. In Lux wird die Lichtmenge angegeben, die in Lumen pro Quadradmeter am Boden oder woanders ankommt. Wenn also eine Lampe mit 1000 Lumen Gesamtlichtmenge, ca 500 Lumen diffus verstreut, und 500 Lumen gerichtet auf einen relativ kleinen Fleck von zb 2.5qm abgibt, dann beträgt die Lichtstärke auf diesem Fleck 500 / 2.5 = 200 Lux - was so hell wie irgendwo zwischen Flur und Zimmerbeleuchtung ist, also sehr gut. Leider geben viele Lampenhersteller die Leuchtkraft in Lux an, ohne dazuzusagen, welche Fläche damit ausgeleuchtet werden kann). Beachten Sie bitte: in einigen Ländern (zb DE) ist der Einsatz dieser Lampen lt STVO auf öffentlichen Strassen evt nicht zulässig. 4. Als Radfahrer andere Verkehrsteilnehmer hören Radfahrer hören auch wesentlich besser als Autofahrer in ihren geschlossenen Hochsicherheits-Käfigen. Das Hören ist weniger wichtig als das Sehen, aber oft eine gute Ergänzung. Wer mit Kopfhörern fährt, hört zwar immer noch besser als ein Autofahrer ohne Kopfhörer, aber doch schlechter als ein Radfahrer ohne Kopfhörer. Der Einsatz sollte also überlegt werden bzw man sollte sich klarmachen, dass man manche Dinge mit Kopfhörern eben nicht so gut hört :-) 5. Bremsen Gilt für jedes Fahrrad, aber natürlich besonders für ein Elektro-Fahrrad: Sparen Sie bei allem, aber nicht bei den Bremsen. Aus unserer Sicht sind hydraulische Felgenbremsen (haben wir im Programm) der beste Kompromiss für Alltagsradler (leicht zu warten, ausreichende Bremswirkung, keine Probleme bei Minusgraden). Mechanische Bremszüge (in Kombination mit allen Bremstypen) können bei Minusgraden unbenutzbar werden, wenn das Fett im Bowdenzug stockt. Regelmässige Wartung hilft zwar, beseitigt aber das Grundproblem nicht. Hydraulische Bremsen sind von Temperaturschwankungen nicht betroffen. Scheibenbremsen haben zwar eine ausgezeichnete Bremswirkung (im Gegensatz zu Felgenbremsen gerade auch bei Nässe), allerdings sind sie gegen Vandalismus anfällig (zb Verbiegen durch Fusstritte) und tendieren im rauen Strassen-Alltag zu Quietsch- und Schleifgeräuschen. Die Bremswirkung von guten Felgenbremsen ist in der Regel auch bei Nässe (wo man ohnehin oft nicht mit Höchstgeschwindigkeit fährt) ausreichend. Mechanische Bremsabschalter, die bei klassischen Pedelec-Systemen wegen der Nachlaufzeit des Motors wichtig sind, stellen oft eine Qualitäts-Einbusse gegenüber den Original-Bremshebeln dar - das ist mit ein Grund, warum wir gasgriff-geführte Systeme ohne Nachlaufzeit bevorzugen. Hydraulische Bremsabschalter stellen keine Qualitäts-Einbusse dar, allerdings sind sie rel. teuer und die Montage erfordert oft eine (aufwändige) Entlüftung des Systems. 6. Motor-Steuerung Es gibt 2 stark sicherheits-relevante Augenblicke beim Elektro-Radfahren: - beim Anfahren an einer Kreuzung
- beim Bremsen (nachdem man aufhört zu pedalieren)
in beiden Situationen gilt: je schneller desto besser. Wir können daher nur immer wieder "gasgriff-geführte" Systeme (mit Anfahrhilfe) empfehlen, die von Null weg voll beschleunigen können, und die keine Nachlaufzeit nach dem Auslassen des Gasgriffes haben (oft gleichzeitig mit Pedalier-Ende) haben. Näheres siehe auch Technik/Pedalsensor oder Gasgriff? Reine "Pedelec-Systeme" sind in dieser Hinsicht immer ein Kompromiss in mehrerer Hinsicht: - Beim Anfahren aus dem Stand steht keine Elektro-Unterstützung zu Verfügung. Man befindet sich also lange im Kreuzungsbereich. Viele, vor allem schwere Unfälle passieren aber im Kreuzungsbereich..
- Nach dem Pedalier-Stop setzt der Motor nur dann rasch aus, wenn es gut eingestellte Bremsabschalter gibt (in hydraulischen Systemen aufwändig zu installieren). Die Nachlaufzeit verringert die Bremswirkung jedweder Bremse.
7. Bereifung In Städten mit Schienen im Strassenraum empfehlen sich Reifen, die so breit sind dass man damit nicht/nicht gut "in die Schienen kommen" kann (typisch breiter als 2.00 Zoll = 50mm) - solche Reifen gibt es kaum für 28 Zoll Fahrräder, daher sind in solchen Städten Reifen bis 26 Zoll Durchmesser sicherer. Bei Regen hilft ein gutes, tiefes Strassenprofil, den Bremsweg kurz zu halten, und in Kurven ein Ausscheren zu verhindern. Ein MTB-Profil ist am Asphalt nur eingeschränkt zu empfehlen, da der Grip durch die abgesetzten Stollen gering ist - schliesslich sind diese Reifen für weichen Untergrund konzipiert. Bei Eis hilft geringer Luftdruck, Reifen mit Spikes, VR-Motor, tiefgestellter Sattel, schlecht geräumte Wege (meist: Radwege) meiden. Mit Spikes am normalen Asphalt zu fahren ist relativ laut und erhöht die Reibung erheblich. Es gibt allerdings auch Spikereifen, die die Spikes nicht direkt auf der Lauffläche haben, weshalb diese nur in Kurven greifen. Das hilft, die Nachteile am Asphalt zu lindern. Bei Schneelage helfen grobstollige MTB-Reifen (oder das Gegenkonzept: sehr schmale Reifen, die sich eine Linie in den Schnee schneiden), geringer Luftdruck, VR-Motor, schlecht geräumte Wege (meist: Radwege) meiden. 8. Helm Die Chance, von allen möglichen Kopfverletzungen im Leben gerade beim Radfahren eine solche zu erleiden, liegt bei ca 1%. Am anderen Ende der Liste stehen Autofahren (48%), Freizeit etc.
Dazu kommt: Die Chance, sich bei einer Alltagsfahrt (also nicht: MTB) bei einem Unfall am Fahrrad an irgendeinem Körperteil zu verletzen, ist fast an jedem Körperteil grösser als am Kopf (Knie, Schultern, Beine, Hände, Arme, Hüfte etc) Aber natürlich: Eine Kopfverletzung kann ungleich schwerwiegendere Folgen haben. Wenn Sie sich also mit Helm sicher fühlen, verwenden Sie ihn. Bedenken Sie nur das folgende: - Helmträger werden nachweislich knapper von Autofahrern überholt ("der is eh geschützt")
- gegen einen Kontakt mit einem wirklich harten Hindernis (vor allem: Auto) schützt ein Fahrradhelm nicht - er ist schlicht zu schwach
- er schützt auch bei einer Kopfverletzung die wirklich exponierten Teile des Kopfes, wie Mund, Kiefer, Kinn, Nasenbein, Jochbein, Stirn etc nicht.
- ein Integral-Helm vermeidet diese letzten beiden Nachteile, ist aber sehr schwer, unhandlich, evt schweisstreibend etc
Konsequenterweise: Wenn schon Helm, dann gleich Integral-Helm.. immerhin lassen sich durch die Verkleidung im Kinn-Bereich auch die lästigen Windgeräusche im Mikrofon minimieren, wenn man beim Fahren mit Freisprech-Einrichtung telefoniert :-) 9. Safety in numbers (auf deutsch: Sicherheit in der Menge anderer Radfahrer) Zu dem Thema ist so viel geschrieben worden, dass wir es hier nur erwähnen wollen, einfach weil es so wichtig ist: Die wichtigste Sicherheitsmassnahme beim Radfahren ist die Förderung des Radverkehrs selbst, sodass der Radverkehrs-Anteil am Gesamtverkehr möglichst hoch ist/wird. Als Mindestwert für "Fahrrad ist ein allgemein anerkanntes Verkehrsmittel" werden dabei oft 8% Verkehrsanteil empfohlen. Radfahrer im Strassenverkehr werden dadurch "normal", jeder rechnet mit ihnen. Dadurch sinkt das Unfallrisiko meist nicht nur relativ, sondern oft sogar auch absolut - nicht nur für Radfahrer, sondern für alle Verkehrsteilnehmer, vor allem auch für Fussgänger.
Vor diesem Hintergrund müssen insb. auch alle Versuche gesehen werden, die zwar möglicherweise am ersten Blick eine erhöhte indivuelle Sicherheit in manchen Situationen bieten, aber Menschen vom Umstieg aufs Fahrrad abhalten (zb Helmpflicht, Warnwestenpflicht, etc). So hat die Helmpflicht in Australien, durch den Rückgang des Fahrradverkehrs, zu einem erheblichen Anstieg der Unfallzahlen mit Radfahrerbeteilung geführt.
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